Viele Menschen fühlen sich durch die aktuelle Situation sehr belastet, während es anderen leichter fällt, mit Herausforderungen umzugehen. Diese innere Widerstandskraft können Sie stärken. Wir haben Tipps für Sie zusammengestellt.
Erst veränderte Corona den gesamten Alltag, dann begann der Krieg in der Ukraine und brachte zusätzlich Sorgen um die Energiepreise mit sich. Private Probleme oder Stress im Job kommen oftmals hinzu. Es ist kein Wunder, dass viele Menschen sich belastet fühlen – aber manche scheinen dem Druck besser standzuhalten als andere. Fachleute bezeichnen diese innere Widerstandskraft als Resilienz. Zum Teil wird sie bereits in der Kindheit gebildet, aber die gute Nachricht lautet: Auch Erwachsene können sie noch stärken.
Wer sich regelmäßig sportlich betätigt, ist auch stressresistenter.
Ein Zusammenspiel verschiedener Faktoren entscheidet da-rüber, wie gut Menschen Probleme meistern können, beziehungsweise sich aus einem Tal wieder herausarbeiten. Denn eine gute Resilienz bedeutet nicht, dass es der Person niemals schlecht geht, auch wenn Sorgen sie nicht ganz so schnell niederdrücken. Resiliente Menschen zeichnet es vielmehr aus, dass sie aus Krisen gestärkt hervorgehen. Was also ist ihr Geheimnis?
Yoga beweist, dass physische und psychische Gesundheit eng zusammenhängen.
„Die Forschung spricht von den sieben Säulen der Resilienz“, sagt Ralf Noelle, der zu diesem Thema Coachings und Seminare im Ruhrgebiet anbietet. Innere Widerstandskraft entstehe vor allem durch Optimismus, Akzeptanz, lösungsorientiertes Denken und Handeln, ein gutes soziales Netz, Selbstfürsorge, Selbstwirksamkeit und der Erkenntnis, dass der Einzelne für sein Wohlergehen im Wesentlichen selbst verantwortlich ist. Das klingt sehr abstrakt. Tatsächlich gibt es für alle Bereiche konkrete Übungen und Tipps. „Viele Menschen sind davon überzeugt, dass sie sich nicht verändern können“, sagt Noelle, der oft den Ausspruch hört: „Ich bin eben so.“ Aber genau das sei nicht richtig. „Denkmuster zu verändern, ist natürlich ein langwieriger Prozess. Das geht nicht von heute auf morgen“, gibt Noelle zu. „Aber es lohnt sich, weil es erheblich zur Zufriedenheit im Leben beiträgt.“ Eine Säule der Resilienz: Selbstwirksamkeit. Dahinter verbirgt sich das Gefühl, selbst dazu beitragen zu können, dass sich die Lebensumstände verändern. Es geht also darum, sich bewusst zu machen, wie viel man in der Hand hat.
„Jeder Mensch hat bereits Krisen hinter sich – und hat sie bewältigt“, sagt Viktoria Hupertz-Masukowitz. Sie arbeitet für die Psychosoziale Beratung der Hochschule Bochum. Zu ihr kommen Studierende, die für die Lösung ihrer Probleme Unterstützung benötigen. Die Bandbreite reicht von finanziellen Sorgen und Prüfungsängsten bis hin zu Beziehungsproblemen, Zukunftsängsten oder dem Gefühl von Einsamkeit. Die Expertin hilft ihnen dabei, den Blick auf die Probleme zu verändern. „Wer sich belastet fühlt oder große Sorgen hat, kann die Situation kaum noch rational betrachten“, sagt Hupertz-Masukowitz. „Bei Stress reagiert das Gehirn mit festgelegten Mechanismen: Flucht, Unterwerfung, Angriff oder Starre. Das macht es so schwer, einen Ausweg zu finden.“
Lösungsorientiertes Denken könne in solch einem Moment kaum funktionieren. Sogenannte Distanzierungstechniken helfen jedoch, die Situation mit etwas mehr Abstand wahrzunehmen. Hupertz-Masukowitz erklärt: „Stellen Sie sich bildlich vor, dass Sie auf eine Leiter steigen und Ihre Situation von oben sehen: Was ist dort alles zu erkennen? Was passiert gerade? Was könnte dazu beitragen, die Situation zu verändern?“ Solche einfachen Tricks würden oft schon ausreichen, um neue Aspekte zu entdecken.
Den Blick von der Leiter wagen
Zurück zur Selbstwirksamkeit: Im nächsten Schritt könne der Betroffene überlegen, welche Krisen er oder sie bereits erfolgreich überstanden hat, und durchgehen, was oder wer ihm dabei geholfen hat. „Vieles lässt sich dann auf die aktuelle Situation übertragen“, ist Hupertz-Masukowitz überzeugt. Grundsätzlich haben die meisten Menschen mehr Handlungsspielraum, als sie denken. Wer sich beispielsweise Sorgen um die Energiepreise macht, kann sich aktiv damit auseinandersetzen, Strom- und Heizkosten einzusparen.
Klaus-Peter Drexhage schöpft Kraft aus seinem Ehrenamt.
„Ein gesunder Optimismus gehört ebenfalls zur Resilienz“, sagt Noelle, und der falle vielen Teilnehmenden seiner Coachings besonders schwer. „Dabei hilft es oft schon, den Blick auf das Positive zu lenken. Was ist alles gut in meinem Leben?“ Zusätzlich könne man sich klarmachen, dass akute Krisen in der Regel zeitlich begrenzt seien – in ein paar Monaten ist vermutlich alles besser.
„Momentan fällt genau das vielen Menschen besonders schwer“, gibt Hupertz-Masukowitz zu. „Sie befürchten, dass sich die Situation weiter verschlechtern könne. Ich empfehle dann unter anderem, sich mit anderen über diese Sorgen auszutauschen. Oft ist es schon eine große Erleichterung zu erfahren, dass es anderen genauso geht.“ Ein gutes soziales Netz gilt übrigens ohnehin als die wichtigste Säule der Resilienz. In umfangreichen Studien haben Forschende Kinder über viele Jahre begleitet, die unter sehr schwierigen sozialen Verhältnissen aufwuchsen. Diejenigen, die ihr Leben gut in den Griff bekamen, hatten alle eines gemeinsam: mindestens eine enge Bezugsperson, die für sie da war. „Wenn ich Probleme habe, kann ich also auch die Frage stellen: Wer ist da, um mich zu unterstützen?“, sagt Hupertz-Masukowitz. Trotzdem: Manche Situationen müssen Menschen einfach aushalten, etwa die Trauer, wenn ein Familienmitglied gestorben ist. Es hilft nicht, mit dem Schicksal zu hadern. Das verstellt nur den Blick nach vorne. Akzeptanz macht daher ebenfalls stark.
Gutes soziales Netz ist wichtigste Säule der Resilienz
Das sind viele Themen. Wer sich stark belastet fühlt, sollte daher eine Beratung oder ein Coaching machen oder therapeutische Hilfe in Anspruch nehmen. Gegebenenfalls sind weitere Behandlungsmethoden nötig. Wenn der Handlungsdruck noch nicht ganz so groß ist, ist es sinnvoll, zunächst den Stresslevel zu senken. „Erholungszeiten sind dafür enorm wichtig“, sagt Noelle. „Der Akku beim E-Bike muss ja auch immer wieder aufgeladen werden.“ „Achtsamkeitsübungen sollte man regelmäßig machen. Es braucht Zeit, bis sie nachhaltige Veränderungen bewirken“, erklärt Noelle. „Wichtig ist, sie in den Alltag einzubauen und auch dann zu machen, wenn kein Stress da ist – wer segeln lernen will, fährt ja auch nicht zum ersten Mal bei Windstärke 8 mit dem Boot raus.“
Eine bewusste Freizeitgestaltung kann ebenfalls erheblich dazu beitragen, die innere Widerstandskraft auszubauen. Anders gesagt: Pflegen Sie Ihre Hobbys. Sabine Wolf (59) läuft dem Stress einfach davon. Viermal pro Woche geht sie joggen, jeden Donnerstag ist sie beim Lauftreff des TV Wattenscheid 01 dabei. Für sie geht es dabei um mehr als Bewegung. „Ich merke, wie sich durch das Laufen meine Stimmung verändert“, sagt sie. „Nach drei Kilometern werde ich gelassener, habe einen entspannteren Blick auf alles.“ Sport erhöht zudem die Selbstwirksamkeit – wer es schafft, den inneren Schweinehund zu überwinden, traut sich auch in anderen Lebensbereichen mehr zu. „Damit es klappt, braucht man aber feste Termine“, lautet Wolfs Rat. „Ich laufe zum Beispiel jeden Samstagmorgen. Wenn ich mich an diesem Tag zum Frühstück verabreden will, geht es eben erst ab 10.30 Uhr – das Laufen hat Priorität.“ Der Lauftreff helfe ihr zusätzlich dabei, dranzubleiben. „Der Austausch mit den anderen ist sehr motivierend“, schwärmt die 59-Jährige. „Mein Bekanntenkreis besteht inzwischen überwiegend aus Läufern.“
Sabine Wolf hat das Laufen bereits vor 20 Jahren für sich entdeckt.
Soziale Kontakte hat Klaus-Peter Drexhage bei seinem Hobby auch: Der Rentner macht für die Caritas in Witten mit beim Projekt „Senioren helfen Senioren“. Wer Unterstützung braucht, kann sich bei der Caritas melden, und Drexhage fährt los. Er hängt Vorhänge auf, repariert Türklinken und schließt Lampen an. Der ehemalige Kfz-Mechaniker nutzt also sein handwerkliches Geschick, um anderen zu helfen – ehrenamtlich. „Mir ist es im Leben immer gut gegangen. Jetzt kann ich davon etwas zurückgeben“, sagt er. Und er weiß auch: Ganz selbstlos ist seine Tätigkeit nicht. „Es macht mich zufrieden.“
Erschienen im Kundenmagazin Meine Stadtwerke