Was haben Unternehmen von betrieblichem Gesundheitsmanagement? Wie können auch kleine Betriebe es umsetzen? Und welche gesundheitlichen Auswirkungen haben aktuelle Trends in der Arbeitswelt? Fragen an den Ökonomen Jürgen Voß, Ehrenvorsitzender des Bochumer Berufsforschungs- und Beratungsinstituts für interdisziplinäre Technikgestaltung, BIT e.V.
Herr Voß, warum sollten sich Unternehmen für die Gesundheit der Belegschaft interessieren?
Sobald ein Unternehmen sich um die Gesundheit der Beschäftigten kümmert, tut es auch etwas für sich selbst: Es mindert Fehlzeiten, Fluktuation und Fehlerquoten, steigert die Identifikation mit dem Unternehmen, die Leistungsfähigkeit, die Leistungswilligkeit. Laut einer Studie der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung wird jeder in Betriebliches Gesundheitsmanagement investierte Euro mit 3,50 Euro belohnt, die entweder an Kosten vermieden oder sogar mehr erwirtschaftet werden.
Was genau verbirgt sich hinter Betrieblichem Gesundheitsmanagement, kurz BGM?
BGM behält die Gesundheit in allen betrieblichen Aspekten im Blick. Gesetzlich vorgeschrieben ist der Arbeitsschutz, also Unfallprävention, Eindämmung von physischen und psychischen Gefährdungen, Ergonomie und so weiter. Mitarbeitenden, die binnen zwölf Monaten mindestens sechs Wochen krank sind, müssen Unternehmen zudem ein Betriebliches Eingliederungsmanagement anbieten. Nicht vorgeschrieben, aber von den Krankenkassen finanziell gefördert ist die Betriebliche Gesundheitsförderung, beispielsweise in Form von Kursen, sowie alle Angebote, die Arbeitgeber selbst finanzieren, wie ein Sozialarbeiter im Unternehmen oder eine externe Hotline, an die Mitarbeitende sich mit allen möglichen Anliegen wenden können.
Welche Rolle spielen die Arbeitsbedingungen im BGM?
Eine zentrale! Wer nur auf die Mitarbeitenden blickt, sieht lediglich Symptome. BGM sucht nach Wegen, die Gesundheit zu erhalten und zu entwickeln. Deshalb sind Arbeitsplätze so gesundheitsförderlich wie möglich zu gestalten. Dabei sind vor allem die Führungskräfte gefragt.
Wieso das?
Zum einen stellen sie selbst eine Arbeitsbedingung für die Mitarbeitenden dar. Und für die meisten anderen Bedingungen, denen Beschäftigte ausgesetzt sind, tragen Führungskräfte Verantwortung – etwa für den Arbeitsschutz. Neben den Verhältnissen geht es um das Verhalten: das der Führungskraft selbst, aber auch die Zusammenarbeit unter den Kollegen.
Wie viele Unternehmen setzen BGM so um, wie es wünschenswert wäre?
Laut Statistik führt nur jede zweite Firma eine Gefährdungsbeurteilung durch, das zentrale Element des Arbeitsschutzes. Vollständige Gefährdungsbeurteilungen finden sich noch viel seltener. Vorbildlich sind meist die großen Konzerne, während es bei kleineren Betrieben oft nur ein limitiertes BGM gibt.
Wahrscheinlich fehlen ihnen schlicht die finanziellen Möglichkeiten?
Auch für kleine Betriebe zahlen sich Investitionen in BGM ökonomisch aus. Außerdem genügt es zunächst, sich für das Thema Zeit zu nehmen. Viele Maßnahmen werden von Krankenkassen gefördert, sie bezahlen etwa Trainer für die aktive Pause, für Rückengymnastik oder Yoga. Jeder Arbeitgeber sollte mit einer Krankenkasse darüber sprechen, was förderfähig ist.
Große Firmen hingegen haben oft eigene BGM-Teams …
Und für Kleine reicht es, sich externe Unterstützung für Planung oder formelle Dinge wie die vorgeschriebene Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastungen zu holen. Manche sitzen auch regelmäßig in einer Kaffeerunde zusammen und sprechen über ihre Belastungen. Wenn sie dazu Protokoll führen und festhalten, welche Probleme sie mit welchen Maßnahmen lösen, erfüllen sie schon gesetzliche Anforderungen.
Wobei sich Rahmenbedingungen regelmäßig ändern. Was sind aktuell vorrangige Herausforderungen?
Ein wichtiger Trend ist der demografische Wandel. Gesundheitlich sind ältere Mitarbeitende ganz anders zu bewerten als junge. Interessanterweise werden Junge viel öfter krank. Aber wenn Ältere erkranken, dann meist länger.
Was bedeutet das für das BGM?
Arbeitsplätze müssen alternsgerecht gestaltet werden. Mit dem Alter wächst zum Beispiel der Lichtbedarf. Deshalb brauchen wir mehr dimmbare Beleuchtung, die sich auf die jeweiligen Bedürfnisse abstimmen lässt.
Wie wirkt sich die Corona-Pandemie aus?
Die Pandemie ist natürlich ein Arbeitsschutzthema. Zudem hat Corona zwei Trends verstärkt, die sehr relevant für die Gesundheit sind: Home Office und Digitalisierung.
Worauf muss BGM dabei achten?
Beim Home Office zunächst auf die Unterscheidung zwischen Tele- und mobiler Arbeit. Bei Telearbeit richtet der Arbeitgeber Mitarbeitenden einen Heimarbeitsplatz samt Geräten und angemessener Ergonomie ein. Bei mobiler Arbeit stellt er nur den Computer. Die Arbeitnehmer entscheiden selbst, wo sie arbeiten – übernehmen aber die Verantwortung dafür, dass ihr Arbeitsplatz die Gesundheit nicht beeinträchtigt.
Die Arbeitgeber sind also aus dem Schneider?
Im Gegenteil. Psychische Belastungen lassen sich auch bei mobiler Arbeit erheben und am Ende schadet es auch dem Arbeitgeber, wenn Beschäftigte nach zwei Jahren Büroarbeit am Küchentisch einen Rückenschaden haben. Wer mobile Arbeit anbietet, sollte die Mitarbeitenden schulen, wie man sich einen gesunden Arbeitsplatz zuhause einrichtet.
...der zugleich immer digitaler wird.
Die Digitalisierung greift fundamental in Arbeitsverhältnisse ein. In Videokonferenzen etwa arbeiten wir anders, als wenn wir uns in Präsenz treffen. Die gesundheitliche Wirkung dieser neuen Arbeitsverhältnisse ist nicht automatisch gut. Deshalb sollten Unternehmen die Gesundheit digitaler Investitionen frühzeitig berücksichtigen. Wenn das zu spät geschieht, kann es richtig Geld kosten – wenn es überhaupt möglich ist.
Ein wertschätzender Umgang mit den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern ist ebenso wichtig wie Willkommensgespräche nach der Rückkehr Genesener.
Diese Aspekte sollten Führungskräfte BIT e.V-Ökonom Jürgen Voß zufolge in den Blick nehmen:
1. Verantwortung für die Arbeitsbedingungen der Mitarbeitenden
2. Selbstmanagement der eigenen Gesundheit mit
3. Gesundes Führungsverhalten gegenüber den Mitarbeitenden
4. Aufbau von Gesundheitskompetenz bei sich und den Mitarbeitenden
5. Fürsorgliche Gespräche mit Mitarbeitenden zum Thema Gesundheit, insbesondere:
6. Platzieren von Maßnahmen im Rahmen der Betrieblichen Gesundheitsförderung
7. Unterstützung individueller Eingliederungsprozesse im Rahmen des Betrieblichen Eingliederungsmanagements